"Ich wohne unter einer Kirchturmuhr,
zwei Häuser weiter wurde ich geboren,
und seit ich denke schlägt die Uhr mir stur
jedwede Viertelstunde um die Ohren."
Dieser Text des wenig bekannten genialen Sprachspielers und Liedermachers Dieter Süverkrüp kommt mir in den letzten Tagen immer mal wieder in den Sinn. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir seit einem halben Jahr direkt vis à vis eines mächtigen Kirchturms mit gewaltigen Glocken wohnen, wie man meinen könnte. Kirchenglocken haben mich noch nie gestört. Aber das Lied von der Kirchturmuhr, die der Singende eigentlich sprengen will, was ihm aber nicht gelingt, hat jetzt etwa 40 Jahre nach seiner Entstehung doch noch Aussichten, ein Hit* zu werden.
In den letzen Tagen habe ich vermehrt Äußerungen gehört, dass sich bekennende Atheisten durch Glockengeläut gestört, provoziert, gar beleidigt fühlen. Der Lärm "kontaminiere" die Umwelt. Man fühle sich durch diese Relikte christlicher Kultur in der eigenen "Nichtreligion" angegriffen...
Aha, ich fühle mich auch gestört und provoziert, durch Motorradfahrer zum Beispiel. Besonders wenn sie vor Ampeln ihre Maschinen, die ohnehin schon einen Höllenlärm machen, extra noch mal aufheulen lassen, damit auch alle was davon haben. Kann man eigentlich keine schallgedämpften Motorräder bauen? Oder von den rollenden Discos zu denen mancher Pkw mutiert ist. Metal oder Punk in unheimlichen Getöse, die Bässe lassen die Straße vibrieren...und wenn dann noch Rammstein und ähnliche Texte gegrölt werden, da fühle ich mich schon in meiner Persönlichkeit angegriffen. Aber selbst friedliche Brummis, die ja bekanntlich durch die Straßen rollen, weil man Äpfel noch nicht per e-Mail befördern kann, können ziemlich störend sein.
Ich fordere also die Abschaffung eines Großteils des Straßenverkehrs.
Aber bei den Glocken geht es ja nicht um die Geräuschbelastung. Es geht um den stillen Nebeneffekt, dass Glocken einen Hinweis auf den unsichtbaren Gott geben, genauer gesagt auf Jesus Christus, denn es handelt sich ja um christliche Kirchen, die mit Glockengeläut nicht nur zu Gottesdienst und Gebet einladen, sondern auch noch die vergehende Zeit anzeigen und damit, welches Stündlein geschlagen hat bevor die persönliche Stunde schlägt.
Übrigens sind es oft die gleichen Leute, die sich gegen Glocken wehren, die sich für den Bau von Minaretten und den Ruf des Muezin (im Notfall vom Band) aussprechen. Aus reiner Toleranz, versteht sich.
Nun gut, gegen Kirchenglocken darf man sich natürlich äußern, sogar öffentlich rechtlich. Dafür sind wir eine Demokratie. Gegen Minarette wird das erheblich schwieriger, wenn sie vielleicht in ein paar Jahren zum Stadtalltag gehören. Das bedenket wohl.
Ich freue mich über die Kirchenglocken, die Zeit und Freude und Trauer anzeigen. Und die natürlich einladen, einem Gott zu begegnen, den viele nicht kennen und manche nicht kennen lernen wollen. Ich bin ihm begegnet. Das halte ich für ein Privileg und es ist mir Grund zur Freude. Deshalb ist diese Wohnung auch genau richtig für mich.
*"Ich glaube, um so einen Hit zu kreieren muss man kein Hitler sein." Süverkrüp in einem anderen Lied.
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